Chopin Biographie, Werke, Bilder, Portraits, Zitate
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Ein Klischee von einem Chopin

Hecor Berlioz schrieb einmal: „Chopin war nur der Virtuose der eleganten Salons, der intime Gesellschaft.“ Der Satz wirkt abschätzig, eben in dem Sinne: Salonkomponist, Salonlöwe, ein Daddy produziert sich mit müdem Augenaufschlag, Musik als dekadente Attitüde. Das hatte Folgen. Noch Arthur Rubinstein erinnert sich an die Willkürlichkeiten vieler Pianisten gegen Ende des letzten Jahrhunderts in Tempo und Ausdruck. Salonmusik, das hieß: Larmoyanz, übertriebene Rubati, romantische Sentimentalität, Verzerrung ins Willkürliche. Es entstand das Klischee von einem Chopin, der als „Ariel der Musik“ ätherisch durch die Salons schwebt, seinen Nocturnes melancholisch nachträumt, Regentropfen musikalisch perlen lässt und mit lässiger Morbidezza Etüden über die Tasten jagt, während verklärt Damen dekorativ am Flügel siedeln.

Die Salon-Welt

In Paris wurden in den vierziger Jahren etwa 850 Salons geführt. Wer in diesen Zirkel verkehrte, der hatte es zu gesellschaftlicher Reputation gebracht. Der Salon befriedigte das Amüsement und das Prestigebedürfnis, Unterhaltung und Geselligkeit. Und da zur Unterhaltung vornehmlich die Musik zählte, diktierte der Salon den musikalischen Geschmack der Gesellschaft.

Für Chopin war diese Institution wie geschaffen. Der Rahmen war luxuriös, der Kreis der Anwesenden überschaubar, der persönliche Umgang durch gesellschaftliche Konventionen geregelt. Am wohlsten dürfte sich Chopin in den Künstlersalons gefühlt haben, wo er unter seinesgleichen verkehrte, wo Musizieren und Gedankenaustausch intellektuelles Niveau sicherten. Nur – gerade der Privatsalon machte zur Genüge deutlich, dass allerlei Belndwerk im Spiele war. Liszt, der den Salon souverän für seine Interessen nutzte, war gleichzeitig der schärfste Kritiker dieser Einrichtung.

Die feine Welt sucht, da sie keine Wurzeln in vorhergegangener Erkenntnis, keinen Halt und keine Zukunft in einem aufrichtigen und dauernden Interesse hat, nur oberflächliche Eindrücke, so flüchtiger Natur, dass man sie mehr physische als moralische nennen kann. [...] So begehrt die große Welt in der Tat von Poesie und Kunst nichts weiter als Aufregungen, die wenige Minuten währen, die sich im Laufe eines Abends erschöpfen und am anderen Morgen vergessen sind.“


Chopin hätte dieses Urteil, eigener Erfahrungen eingedenk, ohne Vorbehalt unterschreiben können, wenn er sich je darauf verstanden hätte, öffentlich Kritik zu äußern. Was ihn beschwerte, sprach Kollege Liszt offen aus:

Nicht ohne geheime Betrübnis schien Chopin sich oftmals zu fragen, bis zuw elchen Grad die Elite der Gesellschaft ihm durch ihre diskreten Beifallsbezeichnungen die Menge und Massen ersetzte, von denen er sich freiwillig abkehrte? Wer in seinem Antlitz zu lesen wusste, konnte erraten, wie häufig er bemerkte, dass unter all den schönen wohlfrisierten Herren, unter all den schönen parfümierten und geschmückten Damen ihn Keines verstand, Und war er nicht noch viel weniger dessen sicher, ob die geringe Zahl derer, die ihn verstand, ihn auch recht verstand? Ein Missbehagen bemächtigte sich in Folge, dessen seiner, das ihm selbst, mindestens nach seiner wahren Quelle, vielleicht unklar blieb, aber heimlich an ihm nagte.“


Chopin war auch Salonkomponist, seine Impromtus, Walzer und Nocturnes können auch als Unterhaltungsmusik verstanden werden, als Unterhaltungsmusik in höchster Vollendung. Dass diese Werke zugleich Kunst in ihrer ästhetischen Autonomie definieren, wurde von seinem Publikum nicht begriffen, das Unterhaltung und Amüsement verwechselte. Kaum hatte man einem Chopinschen Walzer akklamiert, begeisterte man sich der Dutzendware von Romanzen, jenen „Schlagern“ der Romantik, von denen man in den Salons nicht genug bekommen konnte. Höchste Meisterschaft und triviale Pseudokunst wurden unterschiedslos konsumiert.

So konnte Chopin nur in kleinen, intimen Zirkeln der Künstlersalons, im Kreise von Gleichgesinnten, mit wirklicher Anerkennung rechnen, Doch auf die Privatsalons war er existentiell angewiesen. Dass Missverständnis war der Preis seines Ruhms, seiner Lebensversicherung. Denn von den Summen, die ihm die Verleger für seine Kompositionen zahlten, war der erhebliche Aufwand seines Haushalts nicht zu bestreiten.

Quellenangaben

Textauszug aus "Frédéric Chopin", Jürgen Lotz, ISBN 3-4995-0564-9

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