Chopin Biographie, Werke, Bilder, Portraits, Zitate
Inhaltsverzeichnis

Kleine Launen: Die Préludes

Allgemeines, Enstehung und Mythen

Die Préludes tragen die Opuszahl 28 und sind I. C. Keßler, einem Komponisten beliebter Klavieretüden gewidmet. Nur die deutschte Ausgabe ist mit seinem Namen bezeichnet, auf der französischen und englischen Ausgabe steht die Widmung Chopins: "à son ami Pleyel." Da Pleyel dem Pianisten 2000 Franken für die Preludes vorstreckte, hatte er das Recht zu sagen: "Das sind meine Préludes." Niecks bürgt für Chopins Äußerung: "Ich habe Pleyel die Préludes verkauft, weil sie ihm gefallen." Das wahr im Jahre 1838, da Chopins Gesundheit einen Klimawechsel forderte. Er wollte mit Madame George Sand und ihren Kindern nach Majorca gehen und hatte den Klavierfabrikanten und Verleger Camille Pleyel um Geld gebeten. Er erhielt aber nur 500 Franken als Vorschuss. Der Restbetrag sollte nach Ablieferung des Manuskriptes ausbezahlt werden.

Dieser Zyklus ist eindeutig von Bachs Wohltemperiertem Klavier inspiriert, das Chopin sher schätze. Bachs Werk besteht aus zwei Teilen mit jeweils 24 Präludien und Fugen in allen Dur- und Molltonarten in temperierter Stimmung. Während Bach seine Stücke in chromatischer Abfolge annordnet und auf die jeweilige Durtonart die entsprechende in Moll folgen lässt, so basiert die Anordnung bei Chopin - wie schon früher bei Hummels Préludes op.67 - auf dem Quintenzirkel. Chopin beginnt in C-Dur, und die folgenden Préludes haben jeweils ein Kreuz mehr, wobei aber auf jede Durtonart erst noch ein Prélude in der entsprechenden parallelen Molltonart folgt, das heißt, an C-Dur schließt a-moll, an G-Dur e-moll und so weiter. Nach dem Prélude Fis-Dur mit sechs Kreuzen, nachdem also der Quintenzirkel zur Hälfte durchschritten ist, erfolgt die enharmonische Umdeutung nach Ges-Dur, und anstatt der Kreuze werden b vorgezeichnet. An die Stelle von dis-moll tritt es-moll, und im weiteren Verlauf haben die Préludes immer ein b weniger, bis sich der Zirkel bei F-Dur und d-moll schließt.

Als Chopin diesen Zyklus schrieb, stand die Bezeichnung "Prélude" nicht mehr nur für die Einführung, die größeren Komponisten, zum Beispiel einer Fuge, vorangestellt war. Entgegen der Etymologie wurde der Begriff schon seit längerem ebenfalls für selbstständige Miniaturstücke mit fugurativem Charakter und überwiegend in didaktischer Verwendung gebraucht, und gerne wurden sie in Zyklen alle Tonarten hindurch zusammengestellt. Als Beispiel sei hier der Zyklus des Klavierpädagogen Wilhelm Würfel genannt, der auch Einfluss auf die Wntwicklung des jungen Chopin genommen hatte, dessen Sammelband "Zibór exercycyi w kszatalcie preludyów z wszystkich tonów maior I minor" ("Sammlung der Übungen in der Form von Präludien aus sämtlichen Dur- und Molltonarten") - wie schon der Titel besagt - in Form con Préludes in allen Dur- und Molltonarten 1821 in Warschau veröffentlicht wurde.

Die Préludes wurden 1839 veröffentlicht. Man erkennt jedoch, dass die meisten vor der Reise nach den Balearen geschrieben wurden. Das wird die hübsche Sage zerstören, die sich über die Komposition der Préludes im Kloster Valdemosa verbreitet hat. Wir haben doch alle in naiver Vertrauensseligkeit die ausdrucksvolle Beschreibung George Sands gelesen, in der der Sturm dargestellt wird, welcher die Romanschriftstellerin und ihren Sohn Maurice mitten am Weg überfiel! Nach größten Mühen und Gefahren und der Überwindung mancher Hindernisse erreichten sie das Haus und fanden Chopin am Klavier. Er stieß einen Schrei aus, sprang auf und starrte die beiden an. "Ah! Ich wusste ja, dass ihr tot seid." Es war das sechste Prélude in h-moll, das er damals schuf, und George Sand schreibt, dass er während des Spieles geträumt hatte,

"in einem See ertrunken zu sein. Schwere, eiskalte Wassertropfen fielen in regelmäßigen Zeiträumen auf seine Brust herab; und als ich seine Aufmerksamkeit daran lenkte, dass diese Wassertropfen wirklich durch die Zimmerdecke durchsickerten und herabrieselten, leugnete er, sie gehört zu haben. Er war sogar beleidigt, da ich seine Empfindung mit dem Ausdruck Nachahmungsharmonie bezeichnete. Er widersprach mit Festigkeit und behauptete, dass diese Naturlaute für das Ohr bedeutungslos seien. Er hatte Recht, Sein Genie war von den geheimnisvollen Harmonien der Natur erfüllt."

Und doch ist dies Präludium vor dem Ereignis auf Mallorca entstanden. "Die Préludes", sagte Friedrich Niecks, ein angesehner englischer Musikkritiker und -schriftsteller, "bestehen zum größten Teile wenigstens, aus Skizzen aus den Mappen des Komponisten, aus Fragmenten, Entwürfen und Notizen, die er zu den verschiedensten Zeiten niedergeschrieben und aufbewahrte, um sie zu verwenden, sobald sich die Gelegenheit dazu bieten mochte."

Chopins Schüler Gutmann, der ihn bis zu seinem Tode pflegte, behauptete, die Préludes seien geschrieben worden, bevor der Tondichter mit Madame Sand verreiste, und er teilte Niecks persönlich mit, dass er sie alle kopiert hätte. Niecks glaubte ihm das nicht unbedingt, doch er kam auf Grund von Briefen, in denen mehrere Préludes erwähnt sind, als wären sie jetzt erst nach Paris gesandt, zur Überzeugung: "Chopins Arbeit an den Prärudien beschränkt sich in Majorca darauf, sie auszuwählen, sie zu verbessern, zu vervollkommen." Das scheint eine glaubwürdige Annahme zu sein.

Robert Schumann schrieb von diesen Préludes:

"Die Präludien bezeichnete ich als merkwürdig. Gesteh' ich, dass ich sie mir anders dachte und wie seine Etüden im größten Stil geführt. Beinahe das Gegenteil: es sind Skizzen, Etüdenanfänge, oder will man Ruinen, einzelne Adlerfittiche, alles bunt und wild durcheinander. Aber mit feiner Perlenschrift steht in jedem der Stücke: "Friedrich Chopin schrieb's"; man erkennt ihn in den Pausen, am heftigen Atmen. Er ist und bleibt der kühnste und stolzeste Dichtergeist der Zeit. Auch Krankes, Fieberhaftes, Abstoßendes enthält das Heft; so suche jeder was ihm frommt, und bleibe nur der Philister weg."

Erst die Préludes brachten Ignaz Moscheles, ein Komponist und bedeutender Pianist, zu besserem Verständnis Chopins und zu tieferen Eindringen in seine Ausführungsmethode. Bisher hatte der deutsche Pianist seine Musik rauh und dilettantisch in der Modulation gefunden, aber Chopins eigenartiges Spiel machte dem um viele Jahre älteren Manne diese merkwürdige Musik bald sympathisch. "Er gleitet mit seinen zarten Fingern ganz leicht, in ganz zauberhafter Weise über die Tasten."

Für Liszt ist der Titel "Prélude zu schlicht, aber

"sie sind nicht weniger vollkommene Beispiele einer von ihm neugeschaffenen Manier und tragen wie alle seine anderen Werke den Stempel seines poetischen Genius. Im Beginn seiner Laufbahn geschrieben, zeichnet sie jugendliche Kraft aus, die wir in manchen späteren Werken nicht vorfinden, selbst wenn diese verzierter, vollendeter und reicher in der Kombination sind; die Kraft, die in seinen letzten Arbeiten vollständig fehlt, und durch eine überreizte Empfindlichkeit, eine morbide Erregbarkeit ersetzt wird, und dadurch peinvolle Zeugenschaft von seinem Zustand des Leidens der Erschöpfung ablegt."

Liszt irrte sich wie manchmal in dem Gefühlsmoment. Chopin war ja ein Stimmungsmensch gleich vielen größen Männern. Und darin ist er ja nicht gerade nur feminin. Deshalb kann man ihn auch nicht zu einer bestimmten Zeit rechnen. Mehrere seiner Préludes sind sehr morbid. Ich benütze dieses Wort absichtlich. Seine frühere Musik ist es ja auch, während er gerade vor seinem Tod viel heiterer erscheint.

Louis Ehlert, ein deustcher Komponist und Musikschriftsteller, sagt:

"Die Préludes, welche keinen technischen Gesichtpunkt verfolgen, sind freie Schöpfungen im kleinen Rahmen, die den Musiker jedoch in seiner ganzen Vielseitigkeit zeigen. Kein Werk Chopins gibt so ein treues und vollständiges Bild seiner inneren Struktur. Vieles darin ist embryonisch. Es ist, als blättere er in seiner Fantasie, ohne seine Seite ganz zu Ende zu lesen. Aber man findet darin die wetterleuchtende Gewalt der Scherzi, die spöttische, halb kokette Eleganz der Mazurken, den südlichen, mit üppigen Duft geschwängerten Hauch der Notturni. Manchmal ist es, als wären es kleine Sternbilder, die sich im Niderfallen zu Tönen auflösten."

Jan Kleczynski, dem als Pole und Pianist ein tiefes Verständnis für Chopin zugeschrieben wird, denkt, dass:

"man zu weit gegangen ist, indem man in den Préludes das Misanthropentum, den Lerbensüberdruss suchte, dem er während seines Aufenthaltes in Majorca zum Opfer gefallen war. Wenige der Präludien zeigen den Charakter des ennui (Langeweile), und das zweite Prélude, das bemerkenswerteste, ist nach Graf Tarnowiskis Angaben lange vor seiner Abreise nach Majorca geschrieben worden. Die anderen Préludes zeigen in Nr. 18 in F die beste Laune und Heiterkeit, ebenso in Nr. 21 in B, Nr. 23 in F und im letzten in D-moll. Das zuletzt erwähnte Prélude schließt ja mit stärkster Energie druch drei Kanonenschüsse!"

Willeby spricht in seinem Buch "Frédéric Francois Chopin" sehr ausführlich von den Préludes. Im Großen und Ganzen stimmt er mit Niecks darin überein, dass einzelne Stücke dieser Tontichtungen in Valdomosa geschrieben wurden - die Nummern 4, 6, 9, 13, 20 und 21 - und dass

"Chopin die Skizzen der anderen mitgenommen hätte, um sie dort zu vollenden, und sie hierauf unter einer Opuszahl herauszugeben. Die Atmosphäre der erwähnten Präludien ist morbid und sauerstoffarm; es liegt in ihnen ein zarter Hauch von Kränklichkeit, ein gewisses Etwas, das in seiner Weichheit überreif, in seiner Leidenschaft fieberhaft erscheint. Das lässt mich annehmen, dass sie in dieser Zeit geschrieben sind."

Das ist alles sehr schön, aber Chopin war ermattet und fieberhaft, zeigte das in seiner Musik, bevor er nach Mallorca ging, um die Tatsachen, die Gutmann und Niecks anführen, können nicht übergangen werden. Henry James, ein alter Verehrer der Sand, gesteht ihre völlige Unverlässigkeit zu, und so können wir ihre Zeugschaft als romantisch, aber gewiss nicht als unwiderleglich ansehen. Die Sache steht jetzt so: Chopin mag einige Präludien in Majorca geschrieben haben, hat sie dann ausgefeilt und vollendet, doch die Meisten lagen schon 1837 und 1838 in seiner Mappe. Op. 45, ein einzelnes Prélude in cis-moll, wurde erst im Dezember 1841 herausgegeben. Es entstand in Nohant im August desselben Jahres und ist der Prinzessin Elisabeth Czernischeff gewidmet, deren Namen Chopin nicht zu buchstabieren wusste, wie er es in einem Briefe eingesteht.

Theodor Kullak, ein deutscher Komponist, Pianist und Klavierlehrer, ist in dem Vorwort über die Präludien sehr knapp und pädagogisch:

"Chopins Genius gibt sich nirgends reizvoller kund als in den engumgrenzenten Musikformen. In ihrer aphoristischen Knappheit sind die Préludes Meisterwerke ersten Ranges. Einige von ihnen erscheinen rasch hingeworfene Stimmungsbilder, dem Nocturnestile verwandt, und bieten auch minder vorgeschrittene Spielern keine technischen Hindernisse. Ich meine die Nr.4, 6, 7, 9, 15 und 20. Schwieriger sind Nr. 17, 25 und 11, ohne jedoch eminete Virtuosität zu verlangen. Die anderen Préludes gehören in das Gebiet der Chrakaterétude. Trotz der Kürze ihrer Umrisse stehen sie auf gleicher Höhe mit den Sammlungen op.10 und op.25. Insoweit es durchführbar - besondere Fälle individueller Begabung abgerechnet - würde ich vorschlagen, folgende Reihenfolge einzuhalten: man beginne mit den Nummern 1, 14, 10, 22, 23, 3 und 18. Sehr große Bravour verlangen die Nummern 12, 8, 16 und 24. Die Schwierigkeit der anderen Préludes Br.2, 5, 13, 19 und 21 liegt in der zarten piano- und legato-Technik, die wegen der weiten Spannung der Läufe und Doppelnoten einen hohen Entwicklungsgrad voraussetzt."

Preludes Übersicht zu den Werkanalysen der Préludes

Quellenangaben

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