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Trauermarsch in b-moll

"Marche funèbre" - 3. Satz der Sonate op.35

In den ersten Wochen des Jahres 1826 entstand der Marche funèbre (Trauermarsch b-moll), posthum als op.72 Nr.2 erschienen. Er ist der 3. Satz der Sonate Nr.2, op.35 in b-moll.

Chopin komponierte ihn aller Wahrscheinlichkeit nach unter dem Eindruck des feierlichen Begräbnisses von Stanislaw Staszic, an dem er teilgenommen hatte und das zu einer eigentümlichen patriotischen Manifestation geworden war. An Bialoblocki schrieb Chopin in einem Brief vom 12. Februar:

„Nun das sage ich Dir(..), dass sie sich mit Liebe und Begeisterung um seinen Sarg gerissen und dass auch ich zur Erinnerung ein Stückchen Trauerflor habe, mit dem die Totenbahre bedeckt war; und schließlich, dass 20 Tausend Menschen den Leichnam bis zum Grab begleiteten.“

Auf dem langen Weg von der Kirche des Heiligen Kreuzes zum entfernt gelegenen Bielany, wo der großem Patriot und Politiker begraben zu werden wünschte, nahm Fryderyk intensiv die Trauermusik in sich auf, was bei ihm wohl schließlich zu einer Idee für eine eigene Komposition dieser Art führte.

Der Trauermarsch b-moll verrät in seiner Eingangsphrase eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Trauermarsch aus Beethovens Klaviersonate As-Dur (op.26, entstanden 1800/1801) mit seinem rhythmisch wiederholten Molldreiklang – Chopin müsste demnach zu jener Zeit zumindest die frühen Sonaten des damals noch lebenden Meisters gekannt haben. Doch im Gegensatz zu Beethovens Trauermarsch fehlt hier der majestätisch-salbungsvoll zelebrierte Charakter, eher unheimlich und erdrückend wirkt der Satz bei Chopin. Die feierliche und pathetische Geste wird vermieden, dagegen ist der Satz, in dem bloße Tragik dargestellt wird, eigentlich schlicht und monoton, wenn auch sehr dicht. Das Thema des Marsches beruht auf vierzehn Takte hindurch auf nur zwei wechselnden Akkorden, die recht unkonventionell ausgewählt sind: die Tonika (ohne Terz) sowie die Mediante auf der sechsten Stufe (in Umkehrung als Quartsextakkord). Auch die Melodie ist auf ein erstaunliches Minimum reduziert: Zunächst wird nur ein einziger Ton wiederholt, danach erweitert sie ihren Tonraum minimal, nämlich um drei Töne nach oben. Den düsteren Ausdruck der ersten Phrase verstärken die parallelen Terzen der rechten Hand – wie das in der im selben Jahr komponierten melancholischen Polonaise b-moll bereits der Fall ist.

Die beiden unruhigen, seltsam kombinierten Akkorde, die wie unerschütterlich monoton geschlagene Kirchenglocken klingen, dringen auf eine unvergessliche Weise durch Mark und Bein. Auch hinter dieser spröden Melodie scheint sich große Tiefe und ein tragischer Ausdruck zu verbergen, wie sie keine noch so ausgestaltete Phrase ausdrücken könnte. Mit äußerst sparsamen Mitteln und einer genialen Schlichtheit artikuliert der Komponist hier eine der kraftvollsten Aussagen, die die Musik bisher hervorgebracht hat, Die übrigens ebenso sparsame Fortführung des Themas ist dann nur noch eine logische Entwicklung und eine emotionale Steigerung des in den ersten vier Takten formulierten Gedankenganges.

In einem dramatischern und pathetischeren Gestus ist das Nebenthema (ab Takt 15) gehalten, mit seiner aufsteigenden Linie im plötzlichen Forte, welches mit trommelwirbelartigen Trillern im Bass endet. Aber auch dieses bleibt – mit seinen einfachen Funktionen und der auf einer Tonleiter beruhenden Melodie – in seinem Klanggewand bescheiden. Im Kontrast zu dem durchdringenden Hämmern des Marsches steht das Trio, eine leise, sanfte Kantilene (sie geht von einem Motiv im zweiten Satz des Klarinettenquintetts von Weber aus), die auf einer traditionellen Harmonik und einem herkömmlichen Formschema basiert. Kompensiert wird die stilistische Banalität hier durch den Reiz Chopinscher Kantabilität und die ergreifend einfache, delikate und schüchterne Traurigkeit.

Ingesamt hat die Sonate op.35 vier Sätze, doch der Trauermarsch der den dritten Satz bildet ist einer der populärsten Kompositionen in Polen, während das Finale (4. Satz) in der Klaviermusik keinen Rivalen kennt. Schumann sagt, dass Chopin hier „vier seiner tollsten Sprösslinge zusammengebunden hat“, und er täuscht sich nicht. Er denke, dass der Marsch nicht zum Werk gehört. Gewiss ist er vor den begleitenden Sätzen geschrieben. Hadow, ein Autor, bewundert die ersten beiden Sätze und jammert über die beiden letzten Sätze, die herrlich sind, sobald man sie losgelöst betrachtet.

Wahrhaftig, in diesen vier Sätzen atmet ein ungewöhnliches Leben. Chopin sagt, dass er das sonderbare Finale als plauderhaften Kommentar zum Trauermarsch komponierte.

„Die linke Hand schwatzt unisono mit der rechten Hand über den Marsch.“

Vielleicht gehören die zwei Sätze zusammen. Was haben sie aber mit den ersten beiden Stücken gemein? Die Tonalität beweist gar nichts. Trotz der Schönheit des Grave, der Macht und Leidenschaft des Scherzo ist diese Sonate in b-moll ebenso wenig eine Sonate wie sie eine Folge von Balladen und Scherzi ist.

Schumann fand, dass der Trauermarsch „viel Peinliches“ enthielte. Liszt ergeht sich in enthusiastischen Rhapsodien. Für Karasowski (Musikschriftsteller und Violoncellist)war er der „Schmerz und Kummer einer ganzen Nation“, während Ehlert, ein deutscher Komponist und Schriftsteller, denkt:

„er verdankt seinen großen Ruhm der wunderbaren Verquickung zweier Dreiklänge, die in diesem Zusammenhang etwas hoch Tragisches haben. Der Mittelsatz fällt leider ganz aus dem Rahmen. Trüge er wenigstens Halbtrauer; man kann nach so viel schwarz verhängten Flor doch nicht wieder weiße Wäsche zeigen.“

Anderer Meinungen hingegen, könnten die zwei ersten Sätze als Auftakt zu dem weltberühmtem Trauermarsch betrachtet werden, der durch unzählige Aufführungen so abgegriffen erscheint, dass es gut tut, sich einmal des Eindrucks zu erinnern, den er nach seinem Bekanntwerden beispielsweise auf Franz Liszt gemacht hat:

„… Dies konnte nur ein Pole schreiben, denn alles, was der Leichenzug eines seinen eigenen Tod beweinenden Volkes Feierliches und Herzzerreißendes haben kann, klingt aus den dumpfen Glockenklängen heraus, die ihm das letzte Geleite zu geben scheinen. Das ganze Gefühl mystischer Hoffnung, frommen Anrufs einer himmlischen Barmherzigkeit, eines unendlichen Friedens, das ganze verzückte Leid, das mit märtyrergleichem Heroismus getragene Missgeschick hallt wider in diesem Gesang, dessen Flehen Trostlosigkeit atmet… Nicht der Tod eines einzelnen Helden wird hier beweint, sondern der Untergang einer ganzen Generation…“

Liszt weiß noch viel mehr über den Trauermarsch zu sagen, der – unbefangen und sachlich betrachtet – auch heute noch durch seine elementare Tiefe und schlichte Einfalt etwas Großartiges und Packendes hat.

Quellenangaben

  1. Tadeuz A. Zielinski: "CHOPIN - Sein Leben, sein Werk, seine Zeit"
  2. Walter und Paul Rehberg: "Chopin - Eine Biographie"
  3. James Huneker: "Chopin - Der Mensch, der Künstler"

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